30.11.2018 im Cafe Vielfalt
Wir wünschen uns öfter, dass die Menschen, die zu uns kamen, selber Veranstaltungen für uns und ihre Landsleute auf die Beine stellen. Frau Dr. Mayada Day aus Syrien hat das nun vorgemacht.
Sie und drei andere Literaturbegeisterte trugen abwechselnd auf Arabisch, Deutsch und Kurdisch Gedichte vor, deren Thema jeweils für das etwa 25-köpfige Publikum übersetzt wurde. Die Vorleserin und Dichterin Gila Grave machte den Auftakt. Sie brachte geschickt die sieben Deutschen dazu, von Eichendorff „Wem Gott will rechte Gunst erweisen“ und von Brecht einen Vers aus „Mackie Messer“ mitzusingen. Mit wohlmodulierter, facettenreicher Stimme trug Mayada Day einige arabische Gedichte vor. Eines der Höhepunkte des Abends kam, als sie überraschend auch ein von ihr auf Deutsch verfasstes Gedicht über ihre Identität vorlas. Ihr kurdischer Ingenieurskollege im C1-Deutschkurs, Alwan Omar gab ein gereimtes Gedicht zum Besten, in dem der letzte Zweizeiler jeder Stophe sich wiederholte, so dass man ihn auch als deutsche Aus-länderin fast mitsprechen konnte. Sinngemäß: „Mein Herz stöhnt, weil sie es verlassen hat“.
Danach kam eine Premiere: ein von ihm selbst verfasstes Gedicht mit dem Titel „Flüchtling“. Kein Wort verstanden, aber die Emotion übertrug sich.
Muhammad Kassab, Dozent für arabische Sprache und Literatur, überzeugte mit seinen ausdrucksvollen Gesten und als Vorsänger eines vertonten Gedichtes, dessen Refrain zu Beginn schon auf Arabisch an der Tafel stand. Gekonnt sang er die orientalischen schnellen Tonfolgen mit den kleineren Tonabständen als die uns bekannten Halbtöne. Beim Refrain sangen die Arabischsprachigen dieses ihnen bekannte Lied mit, in dem um Regen gebetet wird.

Wir machten eine literarische Zeitreise vom Kurdischen Im 10. Jahrhundert über Ritke und Brecht (den es auch auf Arabisch gibt!) bis ins 21.Jahrhundert zu Mayada Day, die ihr deutsches Gedicht erst an dem Morgen verfasst hatte. Auch Goethe sollte nicht fehlen. Zum Schluss gab Gila Grave den „Zauberlehrling“, wobei das Publikum bei jedem „Walle, walle…“ lautstark mitmachte.

Nach einer knappen Stunde kurzweiligen Vertrags genossen wir Hannelore Sebastians kulinarischen ,Gedichte‘, ihre Canapes, mit kalten Getränken und Espressi. Wir unterhielten uns teils noch lange im Eingangsraum des Cafes, dessen Barstühle und hohe Tische mal zur Geltung kamen.

Diese neuen Begegnungen waren für mich mal etwas völlig anderes als Wohnungssuche, Möbelbeschaffung, Deutschkurs, Antragsformulare, Fluchtberichte, BAMF-Termine…Hier teilten wir über das Medium der Literatur und Sprachklänge Herzblut miteinander. Die vier Mitwirkenden, Hannelore S. und ich waren uns einig, dass dieser Abend unbedingt wiederholt werden sollte.

Ursula Wiese